Jugendbuecher

Jugendbücher

Bücher für Jugendliche sind so eine Sache. Man möchte Ihnen noch was fürs Leben mitgegeben, man will noch eine Tür offenhalten, vielleicht auch helfen. Doch oft liegt man daneben, weil man gar nicht mehr weiß, was interessiert oder ob überhaupt noch gelesen wird. Am Ende müssen sich Teenager durch Bücher mit guten Absichten quälen, die langweilig geschrieben sind und das Lesen eher unattraktiver machen. 

Wer die tollkühne Absicht hat, einer oder einem Jugendlichen ein Buch zu schenken, kann ruhig ein paar Regale weiter zur Erwachsenenliteratur treten. Daran dachte ich kürzlich, als der Schauspieler Henning Baum in einer Talk-Show kluge Sachen zum Thema Jugendbuch sagte, begeistert von »Narziss und Goldmund« sprach und »die Jugend« dazu aufrief, es zu lesen. Er beschrieb, wie befreiend einige Bücher für ihn in dieser Lebensphase waren, wie heilsam die Beschäftigung mit Literatur ist und rief ihnen förmlich zu: »Ihr müsst mal diese Bühne in euch drin betreten!«

Zwei der erfolgreichsten Jugendbücher der vergangenen Jahre waren sicher »Tschick« von Wolfgang Herrendorf und »Das Leben ist ein mieser Verräter« von John Green. Beide habe ich sehr gerne gelesen. An dieser Stelle überlasse ich jetzt aber anderen Titeln das Feld, die auch mehr Scheinwerferlicht verdient haben. 

Manfred Theisen: »Uncover. Die Trollfabrik« 
Tobias Steinfeld: »Scheiße bauen: sehr gut« 

Helen Endemann: »Todesstreifen« 
Tobias Steinfeld: »Kein Plan«  
Peter Schwindt: »Borderland«.
Susanne Fischer: »Wolkenkönigin« 
Peer Martin: »Sommer unter schwarzen Flügeln«
Klaus Kordon: »Der einarmige Boxer« 
Maike Stein: »Ein halber Sommer«

Philip Le Roy: »Die Nacht der Acht«

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Wehrt euch!

Der 18-jährige Phoenix macht ein Praktikum bei einer Berliner Tageszeitung und betreibt zusammen mit seinem Freund Khalil und seiner Freundin Sarah einen YouTube-Channel. Alles ganz harmloser Kram, doch in letzter Zeit denken die Drei immer politischer. Als Khalil dann an einen Stick mit brisantem Material herankommt, sehen sie ihre Chance, richtig groß rauszukommen. Ihre Feinde sind russische Trolle, die von Estland aus Fake News produzieren und unter anderen in Berlin auf perfide Weise Stimmung gegen Ausländer machen. Phoenix fährt nach Estland, um dort zu recherchieren und bringt sich in Lebensgefahr.

Auch hier: Die Geschichte ist weit besser als Titel und Cover vermuten lassen. Lange bin ich nicht mehr so in einem Buch verschwunden, wie in diesem. Der Politologe Manfred Theisen hat viele interessante Persönlichkeiten kreiert und hält die Spannung. Gut in die Geschichte eingebaut sind Informationen zu politischen Zusammenhängen, den mächtigen Strippenzieher hinter den Trollen und ihre Motive. Und er führt sehr gekonnt die unterschiedlichen Denk- und Arbeitsweisen von neuem und altem Journalismus vor. Daneben geht es aber auch um Beziehungsfragen und Zukunftsgedanken des 18-jährigen Phoenix, dem er eine glaubwürdige Stimme gibt. Tolles Jugendbuch, auch für Erwachsene.

Manfred Theisen: »Uncover. Die Trollfabrik«. Loewe. Ab 14 Jahren.

Bist du doof?

Ja, es stimmt. Paul, 14, hat keine Lust auf gar nichts und wundert sich selber, dass er noch auf dem Gymnasium ist. Kein Wunder, dass er verpennt, sich um einen Praktikumsplatz zu kümmern und nehmen muss, was übrigbleibt: Die Förderschule. Als Paul dort für einen Schüler gehalten wird, verspürt er keinen Drang dies aufzuklären und hofft, auf diese Weise mit minimalem Aufwand die Zeit zu überstehen.

Das ist etwas kurz gedacht.Denn er hat nicht mit der Wärme der anderen gerechnet, mit der Freundschaft zu Fatih oder dass er Alica-Sophie gerne von seinem Aquarium erzählt und ihr dabei den Sabber abwischt. 

Lakonisch erzählt Paul von seinen Erlebnissen und lässt die Leserinnen und Leser an seinen wirren und lustigen Gedanken teilhaben. Schrullige Lehrer, seine eigenen Ängste und der schlaue Fatih. – Wer ist hier behindert? fragt er sich.

Tobias Steinfeld: »Scheiße bauen: sehr gut«. Thienemann. Ab 12 Jahren, gerne älter. 

Holt mich raus!

Das doppelte Lottchen – als Krimi. Entgegen dem Wunsch seiner Mutter, ist der 15-jährige Ben zu einem Wettkampf nach Ost-Berlin gefahren. Dort trifft er Marc, der ihm unglaublich ähnlich sieht. Weil Marc Ärger mit staatlichen Behörden hat, kommt er auf die bescheuerte Idee, Ben gefangen zu nehmen und statt seiner in den Westen zurückzukehren. Der Plan klappt, doch für Ben beginnt ein Albtraum, denn niemand glaubt ihm, dass er nicht Marc ist …

Dieses Buch ist ‘ne Wucht. Endemann schafft es, die sprachlichen und gesellschaftlichen Unterschiede authentisch darzustellen. Viele tolle Figuren bereichern diese Geschichte, die immer wieder durch neue Wendungen überrascht. Hier ist ein Jugendbuch gelungen, dessen Einsatz als Schullektüre nicht dem üblichen Todesurteil gleichkommen muss, sondern hoffentlich wirklich viele Schülerinnen und Schüler begeistern kann. Ein ganz besonderer Krimi. Wann schreibt Helen Endemann mal wieder etwas?

Helen Endemann: »Todesstreifen«. rowohlt rotfuchs. Ab 13 Jahren.

Mach dich locker

Freundschaft kann richtig harte Arbeit sein. Das versteht Albert, als er mit einigen Leuten auf einem vermüllten Schäferhof landet und versucht, seinem Leben eine Richtung zu geben. Die anderen hat er mehr zufällig kennengelernt und doch interessieren sie sich aufrichtiger für ihn als seine Kumpels oder seine Freundin Melanie. Es dauert aber ziemlich lange, bis er das kapiert und dabei lernt, auf andere zuzugehen. Steinfeld findet einen glaubwürdigen Erzählton und lässt interessante Leute auftreten. Eine Geschichte über das Lebensgefühl nach der Schulzeit. Auch für Erwachsene lesenswert.

Was ist hier los? Albert hat sich entschieden, nach der 10. Klasse abzugehen. Seine Eltern sind besorgt, denn was er jetzt machen soll, weiß er gar nicht. Als sein Vater schwer erkrankt, geht er eine Wette mit diesem ein, die überraschende Konsequenzen für Albert hat.

Beste Lesezeit: Nur Mut!

Tobias Steinfeld: »Kein Plan«. Thienemann. Ab 13 Jahren.

Vertrau mir

Vincent hatte einmal ein geborgenes Leben mit netten Eltern, Klavierunterricht und Doppelhaushälfte. Doch das ist vorbei, seit seine Mutter nach dem Unfalltod des Vaters in eine Depression verschwunden ist und er die Reste des Familienlebens alleine zusammenhalten muss. Als der 16-Jährige in großer Not zum Grab seines Vaters geht, trifft er Jane, die gleichzeitig hilflos und stark ist. Und die es schafft, dass er sich nicht völlig aufgibt und seine Lebensfreude wiederentdeckt. Wer sie wirklich ist, ahnt auch der Leser erst mit der Zeit.

Schwindt gelingt es, unterhaltsam und in gutem Tempo zu erzählen, interessante Figuren auftreten zu lassen und Vincent als verletzbaren jungen Mann darzustellen. Nur manchmal ist die Sprache etwas bemüht-jugendlich. Egal: Vincent ist ein guter Typ, den man gerne näher kennenlernt.

Peter Schwindt: »Borderland«. Sauerländer. Ab 14 Jahren.

Ich bin die Neue

Familienprobleme, Schulleben, Freundschaft, Liebe. Alles drin in dieser Geschichte über die 16-jährige Corinna, die in der Großen Lotterie familienmäßig eine Niete gezogen hat. Ihr Leben ist steinig, ein paar Probleme weniger wären wirklich nett. 

Und nun sind sie gerade wieder umgezogen. Neue Wohnung, neue Schule – und einige neue Freunde, die es ehrlich mit ihr meinen. Anfangs liest es sich noch wie eins dieser humorfreien Problembücher, die als Schullektüre Generationen von Schülern quälen, doch zum Glück hat es eine spannende Handlung. Und Corinna ist eine tolle, junge Frau, die man gerne ein Stück ihres Weges begleitet. Bis zum ersten Kuss. Schön. 

Susanne Fischer: »Wolkenkönigin«. rowohlt rotfuchs. Ab 14 Jahren.

Eine schwierige Liebe

Nuri heißt eigentlich Nura, aber seit der Arzt im Hamburger Flüchtlingslager sie scherzhaft so nannte, ist der Name geblieben. Calvin heißt Calvin und sein Name ist ihm total egal. So wie ihm ziemlich vieles total egal ist. Außer vielleicht seine kleinen Geschwister und dass Deutschland wieder deutsch werden soll. Daran ändert sich ganz sicher auch nichts, nur weil Nuri ihm fast das Leben gerettet hat. Aber es ist, als hätte sie ihn mit wenigen Worten verzaubert, denn Calvin kann Nuri nicht vergessen. Das darf nicht sein, denn mit Ausländer-Pack wollte er doch nie etwas zu tun haben – und für seine Freunde wäre er dann ein Verräter. 

Abwechselnd erzählen Nuri und Calvin ihre Sicht auf das Leben, die unterschiedlicher kaum sein können. Poetische Rückblenden beschreiben Nuris Leben in Syrien und ihre Flucht nach Deutschland. Das Buch erhielt 2016 den Jugendliteraturpreis der Jugendjury.

Peer Martin: »Sommer unter schwarzen Flügeln«. Oetinger. Ab 16 Jahren.

Es ist passiert

Feri ist 17, als sie sich im Urlaub in den gleichaltrigen Milan verliebt. Mit ihm kann sie sich stundenlang unterhalten, er ist lustig und interessant. Die heimlichen Treffen am See sind das Beste, was sie je erlebt hat. Beide sind aber eher die besonnenen Typen, außer Knutschen passiert nichts. Doch dann kommt es zum Streit mit den Eltern und die Besonnenheit ist dahin. Die beiden schlafen miteinander. Als Milan erfährt, dass Feri schwanger ist, freut er sich, doch verstanden fühlt sich Feri trotzdem nicht von ihm. Und von ihren Eltern sowieso nicht. Für die ist klar, dass sie abreiben soll. Aber ist das wirklich so einfach?

Eine Geschichte, wie sie eben passiert – auch heute noch, obwohl wir doch alles wissen und es die Pille danach gibt. Glaubwürdig beschreibt Kordon die vernünftigen Gedanken, die mit starken Gefühlen kämpfen und den schwierigen Weg zu einer Entscheidung, mit der Feri am Ende gut leben kann. 

Klaus Kordon: »Der einarmige Boxer«. Beltz & Gelberg. Ab 14 Jahren.

Sei stark

Mai 1961. Die 17-jährige Lennie lebt im Nachkriegsberlin auf westlicher Seite. Heimlich besucht sie ihre Tante im Osten, um von ihrer verständnislosen Mutter wegzukommen und mehr über ihren vermissten Vater zu erfahren. Und dann ist da Marie, die mit ihrem linientreuen Vater und einem kleinem Bruder im Osten lebt und eine öde Schneiderlehre macht. Als die beiden sich begegnen ist es Liebe auf den ersten Blick. Der Mauerbau hat für die beiden furchtbare Folgen.

Wer nichts vom Krieg und der Teilung Berlins weiß, mag zu Beginn manchmal rätseln, was los ist. Die Handlung – abwechselnd erzählt – bleibt manchmal etwas unscharf, Zeit und Ort vage. Sprachlich hat man den Eindruck, die Geschichte könnte in der Gegenwart spielen. Die Innenleben der jungen Frauen dagegen nehmen sehr viel Raum ein. Wiederholende Gedankengänge geben einem das Gefühl, als würde die Autorin den Leserinnen und Lesern keine eigene Vorstellungskraft zutrauen.

Dies ist ein Liebesroman vor dem Hintergrund geschichtlicher Ereignisse. Trotz einiger Längen ist es eine spannende Geschichte – natürlich will man wissen, wie es für die beiden ausgeht und fragt sich auch, was man selber wohl getan hätte. 

Maike Stein: »Ein halber Sommer«. Oetinger. Ab 14 Jahren.

Ende Juli 2021 gab es Krimi und Rätsel für Kinder und Jugendliche beim SPIEGEL, darunter diesen irre spannenden Thriller aus Frankreich für Leute ab 14 Jahren.

Hilflos 

Keine Eltern, aber viel Alkohol und eine große Portion Arroganz bringen acht Jugendliche mit, als sie sich in einem abgeschiedenen Haus treffen. Ein spannendes Kammerspiel über Gruppendynamik und Geheimnisse, die man nicht mal mit seinen besten Freundinnen oder Freunden teilt.

Was ist hier los? Was als harmlose Motto-Party einer Clique anfängt, endet in einem schockierenden Schlachtfeld. Das Motto, die anderen richtig übel zu erschrecken, ist einer Person ganz besonders gut gelungen. Spannender Thriller, vornehmlich in Dialogen erzählt, welche dank der guten Übersetzung von Maja von Vogel sehr authentisch sind.

Philip Le Roy: »Die Nacht der Acht«. Aus dem Französischen von Maja von Vogel. Carlsen.

Beitragsfoto: © blaz photo | unsplash

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