Sachbuch

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Zum Schmökern gut

Sachbücher kramt man oft nur aus dem Regal, wenn man ein Referat schreiben muss oder sich ganz besonders für ein Thema interessiert. Mittlerweile toben sich in diesem Bereich viele Illustratoren aus, weil es im Kinderbuch den größten Markt gibt. Nicht immer sind die Ergebnisse wirklich kindergerecht. Denn es ist gar nicht so einfach, ein Sachthema interessant und verständlich aufzubereiten. Text und Bild sollten Komplizen sein und gemeinsam altersgerecht erklären. Manchmal sind sie eher Liebhaber-Stücke für Erwachsene oder sollen den Verlag schmücken und vielleicht einen Preis holen.

Mich interessieren die Bücher, die für Kinder gemacht wurden. Im besten Fall liest man ein Sachbuch nicht nur für die Schule, sondern weil es ein richtiger Schmöker ist, der wie eine gute Geschichte fesselt. Über die folgenden Titel kann ich mich auch nach Jahren noch begeistern.

Labor Ateliergemeinschaft: »Ich so – Du so«
Katharina von der Gathen: »Das Liebesleben der Tiere«
Cosima Breidenstein: »Vivaldi«
Lena Sjöberg: »Hartgekochte Fakten über Eier«
Tim Marshall: »Was unsere Welt zusammenhält«
Ondrej Chrobák, Rotislav Koycánk, Martin Vank: »Wie kommt die Kunst ins Museum?«
Ilona Einwohlt, Katharina Vöhringer: »Gucken verboten! Das (fast) geheime Aufklärungsbuch«
Gerda Raidt: »Meine ganze Familie«
Eva Sixt: »Das Eichhörnchenjahr«
Anna Fiske: »Alle haben einen Po«
Steve Noon: »Geschichte einer Straße. Eine Reise durch die Jahrtausende«
Andrea und Markus Eschenbach: »Pferdesprache für Kinder« 

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Alles normal?

Die Zahnklammer, die Locken, die Hobbys, die Hautfarbe – man kann auf viele Arten anders sein. Das Risiko ist also groß, dass man irgendwie und irgendwo nicht dazugehört. Was tun? Man sollte sich dieses Buch kaufen und erst einmal mit dem darin enthaltenen Normal-O-Meter Klarheit schaffen. Und siehe da: Alles nicht so schlimm.

Mit Humor und Phantasie stellen die Künstler des „Labor Ateliergemeinschaft“ die üblichen Denkweisen auf den Kopf und schicken die Leser auf eine Reise zu sich selbst. Das Reiseziel: Selbstbewusstsein und Toleranz. 

Die vielen Texte und Illustrationen sind herrlich unterschiedlich, wenn etwas langweilig ist, blättert man weiter. Zum Comic über Komplexe im Schwimmbad, der Farbpalette mit Jungs- und Mädchenfarben oder dem Märchen von Rapunzel, der begeisterten Kletterin. Toll sind auch die Berichte Erwachsener über ihre Kindheit und wie sie sich damals fühlten.

Labor Ateliergemeinschaft: »Ich so – Du so«. Beltz & Gelberg. Ab 9 Jahren. 

Was machen die denn da?

Ein Sachbuch zum Hören? Das klingt langweilig und da die Bilderbuch-Vorlage preisverdächtig gut illustriert ist, scheint eine Vertonung unnötig. Doch die kurzweiligen Beschreibungen werden von den vielen Sprechern so abwechslungsreich präsentiert, dass man sich vorstellen kann, wie die Familie auf langer Fahrt gemeinsam über das bunte Paarungsverhalten in der Tierwelt staunt und lacht.

Man ist überrascht über die Vielfalt und den Einfallsreichtum der Tierfamilien, bei einigen auch ob der Brutalität, mit der es die Tiere treiben. Und Achtung: Es kommen Wörter wie Orgasmus und Penis vor.

Mit zwei CDs ist die Sammlung fast ein wenig zu lang, das kann man sich gar nicht alles merken. Immerhin bleibt es so auch beim wiederholten Hören noch interessant.

Katharina von der Gathen: »Das Liebesleben der Tiere«. Igel Records. Ab 8 Jahren.

Ein Tusch! Musik!

Klassik für Kinder. Gähn. Es gibt viele gut gemeinte Versuche, Kindern klassische Musik nahezubringen. Diese Inszenierung der Geigerin Cosima Breidenstein ist erfrischend anders. Denn sie erzählt Vivaldis Leben nicht einfach nur brav herunter, sondern setzt Elemente aus den „Vier Jahreszeiten“ auch gleich dazu ein, Vivaldis bewegter Geschichte Wumm zu geben und so direkt die Kraft der Musik zu vermitteln. 

Es entsteht ein lebendiges Bild der Zeit und man ahnt etwas von dem besonderen Lebensgefühl, das über Venedig mit seinen Karnevals und Musikleben gelegen haben muss. Die Geschichte endet übrigens nicht mit Vivaldis Tod: Sein Werk hatte auch danach noch eine spannende Geschichte.

Cosima Breidenstein: »Vivaldi«. sauerländer audio. Ab 6 Jahren

Was Sie schon immer über Eier wissen wollten

Nachdem die Autorin und Illustratorin Lena Sjöberg sich Hühner angeschafft hatte, musste sie sich auch über deren Haltung informieren. Offenbar ist sie ein sehr gründlicher Typ, denn das Ergebnis ist ein Sachbuch, bei dem keine Frage offenbleibt. Es geht um Hühner im Besonderen und Vögel im Allgemeinen. Rezepte, Anekdoten und erstaunlich Fakten inklusive einer internationalen Sammlung von Sprichwörtern, in denen Eier vorkommen.

Anschauliche Bilder und verständliche Texte machen den Einstieg in dieses unterschätzte Thema leicht. – Übrigens gerade in der Osterzeit auch ein schönes Mitbringsel für Erwachsene.

Lena Sjöberg: »Hartgekochte Fakten über Eier«. Aus dem Schwedischen von Gesa Kunter. Aladin. Ab 4 Jahren und für alle

Warum streitet ihr euch?

Das ist ungewöhnlich: Ein Sachbuch für Kinder, das auf einem Besteller für Erwachsene basiert. Vor einigen Jahren war Marshall mit dem Thema Geopolitik auf der SPIEGEL-Besteller-Liste und hat offenbar das Bedürfnis, das Thema auch Kindern zu erklären. Anhand großer Karten und Illustrationen erläutert Marshall in kurzen, verständlichen Texten. Er zeigt wie groß Russland ist, wie fruchtbar und schwer einnehmbar die USA sind und wie wichtig Berge, Gewässer, Klima und Rohstoffe schon immer für den Lauf der Geschichte waren. 

Dieses Buch sollte Schullektüre sein, denn es verbindet Geschichte, Geographie und Politik, so dass man versteht, warum wir dieses Wissen brauchen. Einen Tag nachdem ich das Buch gelesen hatte, hörte ich in den Nachrichten von tödlichen Streitigkeiten an der chinesisch-indischen Grenze und konnte diesen Konflikt sofort viel klarer einordnen. 

Tim Marshall: »Was unsere Welt zusammenhält«. Aus dem Englischen von Birgit Brandau. dtv Junior. Von 9 bis 99 Jahren. 

Vom Atelier zur Ausstellung

Mal angenommen, du findest Museen doof und dennoch drückt dir jemand dieses total überfällige Buch in die Hand. Dann schlägst du einfach Seite 24 auf („Wozu ins Museum gehen?“) und erfährst, wie viele gute Gründe es gibt, ein Museum zu betreten: Kaffeetrinken. Vor dem Regen Schutz suchen. Träumen. Sich an etwas Schönem erfreuen. Selber zeichnen. 

Entspannt lehnt man sich zurück und blättert neugierig weiter. Denn dieses Buch beschreibt nicht nur welch Schatzkammern unserer Kulturen Museen sind, sondern auch, dass sie jedem offenstehen und ein großartiger Freiraum sind. 

Die tschechischen Autoren haben ein großes, lebendiges und vor allem auch lustiges Buch gestaltet, mit verständlichen Illustrationen und Infos zu vielen berühmten Kunstwerken – sowie deren Diebstählen und Fälschungen. Sie erzählen auch, seit wann es Ausstellungen überhaupt gibt, was hinter den Kulissen einer Ausstellung passiert, und welche Berufe daran beteiligt sind. Am Ende stehen die Zeitungskritiken zu einer Ausstellungseröffnung: Eine ist begeistert, die andere ein Verriss. Das ist Kunst.

Ondrej Chrobák, Rotislav Koycánk, Martin Vank: »Wie kommt die Kunst ins Museum?«. Karl Rauch Verlag. Ab 6 Jahren.

Was ist bloß los mit uns?

Seit dem Kindergarten kennen sich Pia und Paul, doch jetzt ist nicht mehr alles, wie es mal war. Abwechselnd erzählen sie in einem gemeinsamen Tagebuch mit unfassbarer Offenheit, wie sich ihre Körper verändern. Ist das realistisch? – Egal. So bietet sich jedenfalls die Möglichkeit, Jungs und Mädchen gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen, etwas mehr als nur die üblichen Pubertätsfakten abzuhaken und auch dem sich verändernden Seelenleben Raum zu geben. Leider gerät die Autorin dabei ziemlich ins Schwafeln und man wünscht sich einen weniger gewollt jugendlichen Stil. 

Die vielen bunten Zeichnungen sind zugleich sachlich und lustig. Durch sie bekommt dieses Aufklärungsbuch die richtige Leichtigkeit. Gelungen ist auch die Themenvielfalt: Es geht nicht nur um die üblichen Verdächtigen Anatomie-Verhütung-Zyklus, sondern auch um Dinge wie BH-Kauf und: die Liebe.

Ilona Einwohlt, Katharina Vöhringer: »Gucken verboten! Das (fast) geheime Aufklärungsbuch«. Sauerländer. Ab 11 Jahren. 

Wir gehören zusammen

Ein Kinderbuch zum Thema Vorfahren war überfällig. Denn jeder Mensch möchte etwas über seinen Ursprung wissen. Diese Frage bewegt auch Kinder. Stammbäume, Ahnenforschung, Gene. Man sucht darin ein Gefühl von Zugehörigkeit oder auch die Erklärung für ein Talent oder eine Krankheit. 

Wen gab es da noch vor mir, Mama und Opa? Und davor? Wie sich die Zweige der Verwandtschaft immer weiter verästeln, weit zurück bis in andere Epochen, hat die Illustratorin und Autorin sehr anschaulich gemacht.

Ein Buch, über das sich die ganze Familie beugen kann, um gemeinsam zurückzublicken, Lücken zu füllen und sich geborgen zu fühlen. Wir sind alle eine große Familie.

Gerda Raidt: »Meine ganze Familie«. Beltz & Gelberg. Ab 5 Jahren.  

Wie süß!

Zum Glück gibt es Eichhörnchen. Sie haben einen süßen Kopf und flauschiges Fell und wenn man sie von Ast zu Ast hüfen sieht, bekommt man gute Laune. – Aber machen sie eigentlich Winterschlaf und haben sie tatsächlich so ein gutes Gedächtnis? Wer das wissen möchte, schaut in dieses Eichhörnchenbuch. 

Die Texte sind anschaulich und faktenreich. Man kann es mit einem kleinen Kind als Bilderbuch lesen (und dann etwas Text weglassen) oder als Nachschlagewerk benutzen. Die Illustrationen sind teilweise etwas zu naiv geraten, aber okay, dafür geht die Autorin auch auf das Leben der Tiere in der Stadt ein. Denn was ist unrealistischer als die idyllischen Tierbücher, in denen kaum ein Auto durch das Bild zieht? 

Eva Sixt: »Das Eichhörnchenjahr«. Atlantis Verlag. Ab 5 Jahre. 

Körpersprache

Herrlicher Titel, der den Inhalt schön zusammenfasst: Hier geht es um den Körper. Wie sehe ich aus? Und was kann ich mit meinem Körper alles machen? Große Bilder mit kurzen Texten oder Fragen, über die man mit dem Kind sprechen kann . Die Kinder können Körperteile benennen, überlegen, wie sie pinkeln oder welche Geräusche sie mit ihrem Körper machen. Wunderbar körperbejahend. Hier ist jeder richtig.

Was ist hier los? Hautfarben, Körperformen, alt oder jung – es gibt so viele Arten von Menschen. Ein vielschichtiges Entdecker-Buch, bei dem man mit kleinen Kindern ins Gespräch und sogar in Bewegung kommt. 

Beste Lesezeit: Nach dem Baden.

Anna Fiske: »Alle haben einen Po«. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger. Hanser. Ab 4 Jahren.

Pfad – Weg – Straße

Die Idee dieses Buches bringt mich immer wieder zum Staunen, weil sie so simpel ist: Es war einmal das Ufer eines Flusses, da lagerten einige Menschen. Und wie sieht es dort wohl heute aus? 
Hier geht es nicht um Jahreszahlen oder Herrscher, sondern um das Leben ganz normaler Menschen im Wandel der europäischen Geschichte. Man muss nicht einmal lesen können, um zu verstehen, wie sich das Leben über einen sehr, sehr langen Zeitraum verändert hat. Die Bilder erzählen es. – Und plötzlich sieht man die Burgruine in der eigenen Stadt mit anderen Augen. 

Was ist hier los? Der Wandel einer Straße, nein, einer Stelle am Ufer eines Flusses, im Laufe von 12.000 Jahren wird anhand von großen, beschrifteten Abbildungen beschrieben. Am Rand finden sich Erläuterungen sowie einen Anhang mit einem kleinen Quiz und Glossar. Ein Buch fürs große Ganze.
Beste Lesezeit: Keine Lust auf Karl den Großen.

Steve Noon: »Geschichte einer Straße. Eine Reise durch die Jahrtausende«. DK. Ab 6 Jahren.

Pferde sind kein Spielzeug

Ach Robert Redford, du alter Horse Whisperer, so wie du möchten wir alle mit Pferden umgehen können. Dass das nicht kinderleicht ist, beweist dieses Buch. Hier geht es nicht darum, wie man aufs Pferd kommt und die Zügel hält, sondern um das Wesen des Pferdes. Die Übungen sind für Kinder sicher anspruchsvoll – aber es ist eben auch nicht so einfach, mit einem Pferd umzugehen. 

Was ist hier los? Die Autoren bieten anhand von Fotos viele spielerische Übungen zur Bodenarbeit mit dem Pferd, die Sicherheit und Vertrauen zwischen Tier und Mensch aufbauen. Außerdem erklären sie das Wesen dieses Herdentiers, seine Signale und wie es den Menschen wahrnimmt. Erst danach geht es ums Reiten. Das Leckerli für die Kinder: Wenn das Pferd vertrauen hat, lässt es sich auch besser führen.

Beste Lesezeit: Vor der ersten Reitstunde.

Andrea Eschbach, Markus Eschbach: Pferdesprache für Kinder. Kosmos. Ab 8 Jahren.

Beitragsfotos: © Privat

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